15.11.2022
Österreichweit mangelt es in vielen Branchen an Fachkräften, besonders stark betroffen ist der IT-Sektor. Denn es gibt ein Produktivitätswachstum von mehr als 60 Milliarden Euro zu verlieren.
Die schlechte Nachricht zuerst: Im dritten Quartal 2022 blieben österreichweit 218.100Arbeitsstellen unbesetzt. Davon fallen rund 24.000 auf IT-Fachkräfte, analysiert der Fachverband für Informationstechnologie(Ubit). Die Folgensind nicht unwesentlich, denn durch den Ausbau der digitalen Infrastrukturen wäre ein Produktivitätswachstum von mehr als 60 Milliarden Euro zu erreichen. Zu diesem Schluss kommt die Modellrechnung des Österreichischen Infrastrukturreports 2023, der diese Woche vorgestellt wurde.
Umschulungen mit Mehrwert
Der Reportzeigt, dass knapp die Hälfte der Befragten über fehlende IT-Mitarbeitende und 33 Prozent über zu geringe IT-Kompetenzen dieser klagen. Man müsse zwei Zugänge unterscheiden, sagt Georg Krause, CEO bei MSG Plaut: „Vonseiten der Politik gilt es, IT-Bildungsansätze zu fördern, und Unternehmen sind gefordert, die eigenen Mitarbeitenden (um-)zuschulen.“ Und „nearshoring“ zu nutzen, also IT-Fachkräfte aus dem Ausland mit heimischen Arbeitskräften zu vernetzen. Apropos Ausland: Gemäß dem Report rechnet der Großteil damit, eine Erleichterung durch die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte zu spüren. Denn, sagt Krause, „hier wird viel getan, aber aktuell gibt es noch Durchlaufzeiten von vier bis sechs Monaten. Das ist viel zu lang.“
Nun zu den guten Nachrichten: Vom 5G-Breitbandausbau erwarte sich jedes zweite Unternehmen mehr Wettbewerbsfähigkeit und einen Stopp der Landflucht. 45 Prozent würden mit der Neuansiedlung von Unternehmen und 37 Prozent mit positiven Beschäftigungseffekte rechnen. Dazu Krause: „Digitale Kompetenzen braucht heute jeder in jedem Job. Führungskräftemüssen herausfinden, welche Interessen die Mitarbeitenden verfolgen, und den digitalen Zugang fördern.“ Dabei sei es sinnvoll, (öffentliche) E-Learning-Plattformen zu nutzen. „Es gibt von Yoga-Kursen über Meditation alles bis hin zur SAP-Programmierung“ , sagt er.
Um diese Plattformen zur Verfügung zu stellen, müssen Arbeitgeber bereit sein, zu investieren. „Anders wird es nicht funktionieren“, sagt er. Der IT-Dienstleister selbst versucht, in Kooperation mit dem AMS gezielt Arbeitslose zu erreichen, um ihnen den Ein- und Umstieg in die digitale Berufswelt zu erleichtern. „Intern wird die Initiative durch ein starkes Mentoring-Programm gestützt, um neue Mitarbeitende mit Erfahrenen zusammenzuspannen.“ Auch Studierenden aus IT-fremden Bereichen wird ein zwölf- bis 18-monatiges Praktikum angeboten.
Kein Platz für Eitelkeiten
Wenn es darum geht, als Unternehmen für IT-Kräfte attraktiver zu werden, empfiehlt Janine Kawlath, Juniorpartnerin bei Identifire, sich mit den Lebenswelten der Jungen auseinanderzusetzen: „Egal ob IT-Talente, Pflegepersonal oder Fachkräfte in der Gastronomie gesucht werden: Der Arbeitsmarkt lässt aktuell keinen Platz für Eitelkeiten und langwierige Prozesse.“ Deshalb lohne es sich, einen Blick durch die Brille der Interessenten zu werfen. Dabei lautet ihre Anleitung konkret: Der erste Schritt könnte sein, Teams fürs Recruiting neu zu mischen.
Die bestehenden IT-Kontakte zu pflegen und das IT-Team direkt ins Recruiting zu integrieren. Sinnvoll sei auch, sich im Zuge der Umstrukturierung ein Sales-Mindset anzueignen und mittels Kennzahlen (beispielsweisedurch Klicks, tatsächliche Bewerbungen und Absprungraten) den Erfolg zu evaluieren.
Parallel dazu sollte an der eigenen Marke gearbeitet werden: Gelingt es, Job-Geschichten zu erzählen? Werden Ausschreibungen so formuliert, dass der Mehrwert klar und die Hürde für Interessenten klein gehaltenwird? Und sich auch selbst zu fragen: Würde ich mich als IT-Experte hier bewerben?
Archivbild. (c) APA/AFP/PATRICIADE MELO MOREIRA
Author: Esther Reiserer | DiePresse.com | 12.11.2022